Wie gelingt echte Nachhaltigkeit in einem der CO₂-intensivsten Bereiche unserer Gesellschaft – dem Bauen? In Episode 141 des Smart Innovation Podcast spreche ich mit Mario Bodenbender, Geschäftsführer der Finger-Beton Unternehmensgruppe, über Next-Beton – einen zementfreien, klimafreundlichen Beton, der durch Forschungskooperationen, Partnernetzwerke, Zusammenarbeit mit Experten und Expertinnen, sowie langjährigen unternehmerischen Mut entwickelt wurde. Die Episode zeigt praxisnah, wie Innovation in der Bauindustrie funktionieren kann – von der motivierten Idee über den Entwicklungsprozess bis hin zur Zulassung und Markteinführung eines nachhaltigen Baustoffs.
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Beobachtungen & Erkenntnisse
Nachhaltige Innovation in konservativen Märkten braucht gute Partner, Ausdauer, Transparenz und gezielte Kommunikation: Mit Next-Beton wurde ein zementfreier, klimafreundlicher Baustoff erfolgreich zur Marktreife geführt – durch ein Partnernetzwerk aus mittelständischen Unternehmen, Hochschulen, Prüfinstituten und externen Experten. Das Projekt zeigt, wie Innovation in der Bauindustrie trotz hoher technischer, wirtschaftlicher und regulatorischer Hürden gelingt – und ist ein funktionierendes Beispiel für ein virtuelles OEM im Mittelstand.
Seit Jahren arbeiteten die Unternehmensgruppen Finger-Beton, Röser und Berding Beton gemeinsam an der Entwicklung des Baustoffes. Im Mai 2024 erhielt das Produkt die Zulassung als erstes vollständig zementfreies Betonfertigteil für den Tiefbau in Deutschland. Die Markteinführung erfolgt nun bundesweit.
Die Motivation: einen relevanten Beitrag zum klimaneutralen Bauen leisten und gleichzeitig neue Anwendungsfelder im Tiefbau erschließen. Die Umsetzung: technisch anspruchsvoll, forschungsbasiert, mit klarem Fokus auf Nachhaltigkeit und CO₂-Fußabdruck-Reduktion. Next-Beton zeigt, wie nachhaltige Produktentwicklung im konservativen Bausektor funktionieren kann. Zentrale Erfolgsfaktoren waren Partnerschaft, strategisches Vorgehen und offene Kommunikation. Und: technologische Lösungen allein reichen nicht – es braucht Marktakzeptanz, Vertrauen und Regelkonformität.
Die größten Herausforderungen – und wie sie gelöst wurden
1. Technologischer Umbruch: Beton ohne Zement – Die Entwicklung von Next-Beton bedeutete einen Eingriff in die Materialzusammensetzung. Der konventionelle Zement, Hauptverursacher von CO₂-Emissionen im Beton, wurde vollständig ersetzt – durch eine Mischung aus Hüttensandmehl, Flugasche und einem Aktivator. Das neue Bindemittel besteht aus Industrie-Nebenprodukten – Abfallstoffe, die bisher wenig genutzt wurden. Die Rohstoffe werden durch einen Zusatz aktiviert und übernehmen dieselbe Funktion wie Zement: Sie binden die Gesteinsmischung im Beton.
„Wir haben den Zement zu 100 % aus der Mischung genommen“ – Mario Bodenbender.
2. Lange Entwicklungszeit und Zulassungsprozess – Prototypen entstanden 2020. Die finale Zulassung durch das DIBt (Deutsches Institut für Bautechnik) kam erst im Mai 2024 – pünktlich zum Start der IFAT, einer Fachmesse für Umwelttechnologie. In der Zwischenzeit durchlief das Projekt umfangreiche Prüfverfahren, darunter Materialtests, Langzeitanalysen und Prozessabnahmen. Die Herausforderung: Next-Beton lag außerhalb bestehender DIN-Normen, da alle Normen auf zementgebundenem Beton basieren. Deshalb musste eine eigene allgemein bauaufsichtliche Zulassung erarbeitet werden – der erste seiner Art in Deutschland.
„Die Prüfungen hat unser Material alle mit Bravour bestanden“, so Bodenbender. „Aber es hat eben Zeit gebraucht, bis sich alle Beteiligten sicher waren.“
3. Produktionsumstellung im laufenden Betrieb – Ein weiterer Härtetest: Die Integration des neuen Materials in bestehende Produktionsprozesse. Die Werke mussten in der Lage sein, parallel zementfreien und konventionellen Beton zu produzieren – ohne dass sich Reste vermischen. Denn schon geringe Rückstände des einen Bindemittels können die Reaktion des anderen unkontrollierbar beschleunigen. Die Lösung bestand in technologischer Trennung, Investitionen in Mischtechnik und Schulung der Mitarbeitenden.
Warum das Projekt funktioniert hat: Erfolgsfaktoren
- Partnernetzwerke für Innovation: Drei mittelständische Hersteller entwickelten ein gemeinsames Produkt, standardisiert in Marke, Rezeptur und Qualitätsprüfung. Damit schaffen sie regionale Nähe bei gleichzeitiger bundesweiter Verfügbarkeit. Diese Art der Zusammenarbeit – mit verteilter Produktion, geteiltem Risiko und gemeinsamer Innovationsagenda – folgt der Logik eines virtuellen OEM, wie es aus der Automobil- oder Maschinenbauindustrie im Netzwerk Transformotive Heilbronn-Franken bekannt ist. Die Beteiligten teilen nicht nur Ressourcen, sondern stimmen sich eng über Technologie, Prozesse und Marktstrategie ab. Diese systemische Partnerschaft macht das Projekt skalierbar – ohne zentralisierte Großstrukturen.
- Forschungskooperation im Bauwesen: Ohne externe wissenschaftliche Begleitung hätte Next-Beton keine Chance gehabt. Die Projektpartner arbeiteten mit Materialprüfanstalten, Hochschulen, Experten und Expertinnen und Zulassungsstellen zusammen. Sie holten sich gezielt Expertise von außen ins Projekt – unter anderem für Betontechnologie, Normung, Genehmigungen und Testdesign. Die Kombination aus betrieblichem Erfahrungswissen und akademischem Know-how war entscheidend. Das Innovationscoaching wurde nicht im klassischen Sinne formalisiert, fand aber dezentral und anwendungsnah statt – entlang der realen Entwicklungsprobleme.
„Wir wussten von Anfang an: Das können wir nur mit Experten stemmen.“ – Mario Bodenbender
- Offene Innovationskommunikation: Next-Beton wurde von Anfang an aktiv kommuniziert – gegenüber Kunden, Planern, Behörden, Medien. Die Projektpartner wählten einen transparenten Ansatz: Werkführungen, Fachveranstaltungen, Messeauftritte, Social Media, Pressearbeit. Die Kommunikation orientierte sich an den Informationsbedürfnissen der Zielgruppen: technische Nachweise für Planer, ökologische Argumente für öffentliche Auftraggeber, wirtschaftliche Relevanz für Entscheider. Die Kommunikation wurde professionell begleitet – eine bewusste Investition.
„Wir wollten keine Blackbox – sondern Vertrauen aufbauen durch Sichtbarkeit.“
Next-Beton im Einsatz: Anwendungsfelder und Nutzen
Tiefbau & Infrastruktur: Next-Beton wird aktuell vor allem im Kanalbau und in der Regenwasserbewirtschaftung eingesetzt. Die hohe Widerstandsfähigkeit gegen chemische Belastung macht ihn dort besonders geeignet.
CO₂-Vorteil: Der CO₂-Fußabdruck eines Betonfertigteils mit Next-Beton liegt deutlich unter dem konventioneller Betone. Die Rohstoffe stammen regionaler Förderung, die Herstellung erfolgt energieoptimiert.
Neue Märkte: Die zementfreie Rezeptur eröffnet Zugänge zu sensiblen Anwendungsfeldern, etwa im Abwasserbereich, wo Zement chemisch angegriffen wird.
Perspektive Hochbau: Erste Pilotprojekte zeigen: Auch im Hoch- und Ingenieurbau ist der Einsatz möglich – etwa im Rechenzentrumsbau oder bei Sichtbetonelementen.
Was Innovationsteams mitnehmen können
Next-Beton ist ein Beispiel dafür, wie echte Innovation unter schwierigen Rahmenbedingungen gelingt. Für Innovationsverantwortliche in Unternehmen ergeben sich daraus konkrete Ansätze:
1. Innovation braucht Fokus – und den Mut, in kritische Bereiche vorzustoßen. Das Projekt adressiert eine der großen offenen Flanken des Bauens: den CO₂-Ausstoß von Beton. Es löst das Problem nicht vollständig, aber verbessert den Status quo substanziell.
Tipp: Setze klare Innovationsziele mit messbarem Impact – nicht nur inkrementelle Produktpflege.
2. Baue Partnernetzwerke und Virtuelle OEM systematisch auf – und teile Ressourcen, Know-how und Risiko. Next-Beton wäre nicht realisierbar gewesen ohne die systematische Zusammenarbeit mehrerer Mittelständler. Die Verteilung auf Regionen, Rollen und Kompetenzen macht das Projekt robust.
Tipp: Entwickle frühzeitig Kooperationsmodelle mit klarer Governance, geteiltem Zielbild und rollenspezifischem Beitrag.
3. Denke Kommunikation als Teil der Produktentwicklung – nicht als nachgelagerte Maßnahme. Die gezielte Ansprache von Planern, Bauherren, Behörden und Öffentlichkeit war entscheidend für die Akzeptanz. Vertrauen entsteht durch Transparenz, Gesprächsbereitschaft und Offenheit – besonders bei erklärungsbedürftigen Produkten.
Tipp: Plane eine eigenständige Kommunikationsstrategie im Innovationsprozess – frühzeitig und auf Augenhöhe mit Technik und Marktzugang.
Fazit
Next-Beton ist mehr als ein neues Produkt – es ist ein Lehrstück für Innovationsarbeit im Mittelstand. Es zeigt: Auch in konservativen Branchen wie der Bauindustrie sind systematische, nachhaltige Innovationen möglich. Wenn sie mutig, partnerschaftlich und strategisch umgesetzt werden. Der zementfreie Beton senkt nicht nur den CO₂-Fußabdruck der gebauten Umwelt. Er beweist auch, dass klimaneutrales Bauen nicht an der Technologie scheitert – sondern an der Umsetzung.
Links
- Website von Finger-Beton
- Info zu Next-Beton
- Reuchlin Haus Pforzheim
- Klimarechner RPTU Kaiserslautern
- Röser Unternehmensgruppe
- Berding Beton
- Deutsches Institut für Bautechnik (DIBT)
- Virtuelle OEM
- Niedersächsischer Innovationspreis
- IFAT München
- Projekt Blu, Hamburg
Transkript
Das Transkript folgt.