Seit vier Wochen (seit Dez. 2020) fahren wir einen VW ID3. Kurz vor Weihnachten durften wir ihn beim Händler abholen. Und er hat unser Leben verändert. Ein erster Erfahrungsbericht (mit mehreren Aktualisierungen über die Zeit hinweg).
Motivation
Seit Jahren beschäftige ich mich beruflich als Innovationsberater und Business Coach wie privat mit Innovationen rund um Elektromobilität. Wir haben über die Jahre viele Modelle getestet und uns die Nasen an den Scheiben früher Elektroautos platt gedrückt. Dazu gehören der Hotzenblitz Anfang der 90er Jahre, der minimalistische Renault Twizzy. Dann der BMW i3, dessen unkonventionelle Entwicklungshistorie ich nahe verfolgt habe. Und natürlich Tesla, die viele Themen prägen. Auch durch Marketing Stunts, aber vor allem durch dieses Video mit der Geschichte der Dekarbonisierung des Individualverkehrs (dessen Link ich nicht mehr finde). Mein älteste Erinnerung an Elektromobilität ein Buch über Ferdinand Porsche, der mit dem Lohner Porsche 1910? bereits Elektroautos entworfen und gebaut hat.
Als überzeugter Fan der „Youtube University“ verfolge ich die Entwicklung auch über Kanäle wie Fully Charged, eines der heute einflussreichsten Alternative Energie Medien Formate, das von Robert Llewelyn quasi im Alleingang mit viel Einsatz, Überzeugung und Poltern aufgebaut wurde – siehe dazu sein erstes Video:
Ökobilanz
Es war mir und meiner Frau wichtig, das eigene Verhalten, unsere Ökobilanz und die eigene CO2-Reduktion weiter zu verbessern. Im Bereich des Wohnens (Heizen, Elektrizität), Konsum und Arbeiten haben wir schon wichtige Meilensteine erreicht. Ein wichtiger nächster Schritt war die Mobilität. Und hier kann ein Mix aus Fahrrad, Carsharing, ÖPNV sowie Bahn/Zug schon viel verändern. Allerdings nicht auf allen Strecken.
Meine Einstellung zu VW
Der ID3 ist unser dritter VW. Auf einen Golf V TDI folgte ein Golf VII TSI – klassenlose Klasseautos. Wir sind also vorgeprägt und eher positiv gegenüber Volkswagen eingestellt. Jetzt bin ich aber auch unabhängiger Berater. Und werde sicher nicht klingen, wie die Fanboys manch anderer Elektroauto Marken, die vollkommen kritiklos alles nachquatschen und das Mär vom „Autopiloten“ glauben. Ich bin eher der Typ, der versteht, dass schon der Weg zu einem Level 3 autonomen Fahrzeug lang ist. Und als ehemaliger Produktmanager sieht, wo etwas gut wurde, und wo es (noch) nicht so doll ist.
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Zentrale Punkte sind für mich
- Klimaschutz: Wir fahren mit dem VW ID3 weitgehend CO2 frei, die Herstellung ist CO2-neutral (durch Kompensation). Ich finde den Volkswagen Way to Zero glaubwürdig.
- Fairness: Die ID/VW Arbeitsplätze gehören wahrscheinlich zu den sozial besten, die es in der Welt gibt.
- Passend: Die Wahrnehmung der Marke VW passt gut in eine Gesellschaft, die auch bei uns in Deutschland zunehmend soziale Spreizungen erfährt.
Idealer Zeitpunkt für ein Elektroauto
Nach der Innovationsdiffusionskurve sind wir mit einem Elektroauto in 2020/21 keine „Innovatoren“ mehr – das wären eher die Hotzenblitz Macher mit Investor Alfred Ritter (Ritter Sport/Ritter Solar/Paradigma) Anfang der 1990er. Aber die ersten in unserer Gegend/der Abteilung/in der Verwandtschaft/unter Kollegen… die das Thema Elektromobilität vorantreiben. Unser Verhalten hat Signalwirkung. Wir sind nicht „besser“ wie andere. Aber wir machen uns Gedanken und versuchen Lösungen zu finden, die weiterführen. In gewisser Weise fühlt es sich immer noch nach „Pionier“ an und das ist gut so.
Mitten in der Unsicherheit der Pandemie ist garantiert auch nicht so ein geschickter Zeitpunkt für eine so große Entscheidung. Doch keiner weiß was kommt (auch wenn wir uns mit Foresight Szenarien damit beschäftigen). Also warum nicht an das Gute glauben? Und da waren wir nicht alleine: der ID3 ist schon in 2020 ein großer Erfolg für Volkswagen. Gibt es bessere Zeitpunkte? Ja klar. Aber wir haben dann einfach mal gemacht.
Erster Eindruck
Der ID3 ist kein Golf, eher ein Golf Plus. Die etwas größere Höhe braucht Gewöhnungszeit. Das Fahren ist „easy“. Mit einem Mix aus: „so kenne ich das“ und „sinnvollen Verbesserungen“. Es ist viel Platz innen. Manches ist praktischer gemacht wie bisher, manches nicht so sehr. Das Fahren bringt keinerlei Probleme, es wird ein hochwertiger Eindruck vermittelt, die Verarbeitung ist top. Nichts klappert, keine unnötigen Windgeräusche, innen alles entspannt ruhig. Innen ist der ID3 vergleichsweise riesig.
VW ID3 – Pro
Für mich definitiv das größte Pro ist die (mögliche) CO2-freie Mobilität ohne Benzin. Das Design des ID3 ist frisch und entspannt – ich sehe es gerne an. Alles ist dort, wo man es erwartet, als VW-Fahrer. Da der ID3 einfach so einen guten Job als „Auto“ macht, schreibe ich sicher später mal mehr darüber.
Con
- Software – das größte Problem, siehe unten
- Schlechte Website von VW und quasi nicht vorhandene oder überholte Online-Info Angebote (Stand Dez. 2020)
- Uninteressierte und schlecht informierte Händler – unsere VW Hauswerkstatt war dagegen sehr interessiert, sah das Auto aber auch zum ersten Mal
- UX/die Bedienung von Radio/Navi/Telefon/Carplay/Heizung etc. ist eine Katastrophe
- (zu Anfang): Hochgradig frustrierend: die Software voller Fehler und Dingen, die nicht nachvollziehbar sind, nicht funktionieren – inklusive der App
- Online Datenpakete waren einige Zeit nicht verfügbar – siehe unten
- Onboarding existiert nicht, digitale Ressourcen, zB FAQ auf der VW Website gibt es nicht
Diese Liste könnte ich sehr viel länger schreiben, aber da komme ich sicher in einem späteren Artikel drauf zu sprechen. Eine gute Ergänzung zeigt dieses Video:
Thema Software
„In der neuen Welt haben wir Nachholbedarf“ sagte Herbert Diess, der ehemalige Chef der Volkswagen Group. Als Innovationscoach habe ich Verständnis für die Situation – VW bohrt hier ein sehr dickes Brett. So ein „Tanker“ braucht Zeit für den Richtungswechsel.
Und doch, was für ein Chaos: unser ID3 hat das Software Update 2.4. im Sommer 2022 erhalten. Im Auto steht aber immer noch Version „2.3.0“. Mit der Version 2.4 sollte ein over the air Update auf V 3.0 bekommen, das auch Effizienzverbesserungen bringen soll. Dieses Update wird laut VW gerade (Nov 2022) nach und nach aufgespielt, es kann niemand sagen, wann es kommt. Das ist so schwach, dass selbst ich als Fan gerade sehr enttäuscht bin.
Über die sehr schlechte Usability könnte ich ewig schreiben, die Zeit ist mir etwas zu schade dafür. Ebenso miserabel: das eingebaute Navi, das keine ordentliche Route bei langen Strecken inkl. der notwendigen Ladestation dynamisch zusammenstellen kann.
ID 3 Software 3.2
Ab Ende Mai 2023 ist eine Werkstatt Update Aktion geplant, um die ID 3 Software 3.2 zu installieren. Das soll in der Werkstatt passieren, kein OTA Update. Ich freue mich schon drauf, denn es sollen Effizienzverbesserungen eingebaut sein aber vor allem auch echte Updates für das Navi. Aktuell zeigt nämlich das Navi entlang der Route Gaststätten und Tankstellen (!) an. Ladestationen eher sporadisch – das Planen langer Fahrten mit dem internen Navi ist nicht dynamisch und eigentlich nicht machbar. Hier Verbesserungen zu bekommen, das ist mir, neben den Effizienzverbesserungen, am wichtigsten.
Thema Online Zugang
Und die Enttäuschung geht weiter: es wäre jetzt wohl möglich, ein Datenpaket zu buchen, um zB Webradio zu hören oder einen Hotspot im Auto aufzubauen. Doch das geht nur über einen Dritten, eine schwindelige Firma mit Sitz in Irland. Die wollen die Angabe von Personalausweisnummer und Geburtsdatum. Das geht meiner Ansicht nach garnicht. So eine Funktion kaufe ich nicht bei einem Dritten, sondern bei Volkswagen, oder bei meinem Mobilfunkanbieter meines Vertrauens zB als MultiSIM.
Weiterer Effekt: so lange ich keine Onlineverbindung aufbaue, erhalte ich permanent die Nachricht im Auto, dass das Webradio nicht verfügbar wäre. zum Thema Software mehr siehe weiter oben.
Empfehlung für den ID3
Für ein Elektroauto muss man bereit sein, einiges Neues zu lernen und um zu denken. Der Volkswagen ID3 ist ein Auto in der Tradition des VW Golf und des BMW i3. Er ist weit genug „da draussen“ und hat doch noch vieles, was vor allem VW-Fahrer gewohnt sind. Er geht mir eigentlich nicht weit genug. Aber es ist das aktuell verfügbare Elektroauto, welches meines Erachtens nach am besten die verschiedenen Strömungen (Nutzung/Qualität, Klimaschutz, soziale Verantwortung) zusammenbringt.
„Software“ und Usability, Navi & Routenplanung sowie weitere digitale Support Angebote sind aktuell kein Ruhmesblatt, da wünsche ich mir inständig Besserung.
Ich habe noch Vertrauen in VW und empfehle den ID3. Das ideale Szenario sind Familien mit ein bis zwei Kinder, meines Erachtens.
Alternative: VW ID 2 all
2025 soll der kompaktere ID2all rauskommen. Aussen Polo, innen Golf. Mit eher klassischen Linien, vier Türen (wobei die hinteren Türgriffe wie ursprünglich beim Alfa 156 versteckt sind und einen Zweitürer vermuten lassen). Preis und Leistung klasse. Hört sich für mich perfekt an.
Innovation Elektromobilität und sonst so?
Meines Erachtens ist das Thema Elektromobilität eine gute Gelegenheit, weitere Themen im Produktmanagement für Automobile auszubauen. Dazu gehört natürlich das Aufwerten des kleinen Formfaktors, so dass auch im kleinen Fahrzeug „Premium“ möglich ist.
Einen guten Einblick zur Entwicklung der Elektromobilität gibt mein Gespräch mit „Fully Charged“ Gründer Robert Llewellyn.
Elektromobilität auf dem Wasser
Elektromobilität auf dem Wasser nimmt zu. Evoy ist ein Anbieter für elektrische Antriebe für Boote. Hier mein Gespräch mit dem Co-Gründer und CEO von Evoy, Leif A. Stavostrand.
Domani Yachts bietet elektrische Motorboote und elektrisch unterstützte Segelboote an. Hier geht es zu meinem Gespräch mit dem Gründer, Michael Goddaert.
Und hier geht es zu meiner Auffassung vom neuen Wassersport, natürlich elektrisch, mit Empfehlungen für Elektroboote.
Ergänzungen/Updates
Ergänzt: 31.1.21, 30.6.21, 20.10.21, 9.11.21, 14.7.22
Nachtrag Anfang März 2021: das ID.3 Software-Update ist angekündigt, es erfolgt bei uns Mitte März. Danach gibt es dann regelmäßig Updates aus dem Netz.
Nachtrag Mitte Juli 2022: das nächste große Update ist gerade installiert worden und bringt sichtbare Verbesserungen.
Nachtrag Ende August 2022: in unserem Gebäude haben mittlerweile 3 von 8 Parteien ein Elektroauto: einen ID3.
Nachtrag 3.11.22: kein Update auf ID Software 3.0
Nachtrag 25.4.23: ID 3 Software 3.2
Nachtrag 3.5.23: leichte Ergänzungen
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Eine Frage, funktioniert das Sprachsystem eigentlich nur wenn ich eine Online Verbindung habe, oder auch in einer Tiefgarage, wenn ich kein Netz habe. Danke!
unser Auto hat eine permanente Online Verbindung – keine Ahnung, wie das in der Tiefgarage ist, oder ohne die Internetverbindung. Am besten bei VW fragen
Wir sind ja schon länger E-Autofahrer und haben uns vor Kurzem nach einem elektrischen Zweitwagen umgeschaut. Der an sich vielversprechende ID3 ist aus zwei Gründen nicht in die engere Wahl gekommen:
1. Die verbockte Software ist vollkommen inakzeptabel. Das Jahr ist 2021 und nicht 1995.
2. Ein Unternehmen, das laut eigener Aussage den Anspruch hat „ethisch verantwortliches Handeln nachhaltig in der DNA des Unternehmens zu verankern“ und dabei so jämmerlich versagt, kommt für uns nicht in Frage. Seinen einst guten Ruf hat VW selber nachhaltig zerstört.
Der Renault Zoe hat uns auch gut gefallen. Leider hatte er auf eine wichtige Frage keine Antwort: Wo kann ich bei längeren Fahrten Ladestopps machen, wie lange dauert das Laden und was kostet die kWh?
Wir haben uns deshalb am Ende wieder für Tesla entschieden.
Als Fahrradfahrerin freue ich mich über jedes vollelektrische Auto, das mir auf den Straßen begegnet. Diese Autos sind leiser und sie „stinken“ nicht. Klingt banal, ist aber an vielbefahrenen Straßen und beim Warten an der Ampel wirklich spürbar.
Und wenn sie dann auch noch mit Ökostrom „betankt“ werden, umso besser :)
Danke an alle E-Auto-Fahrer!
tatsächlich stören die Abgase anderer auch einen Elektroauto Fahrer
Wir haben seit Weihnachten den ID3 first Max. Mit der Software 0783 schon besser. leider musst du das Auto schon zweimal in die Werkstatt für längere Zeiten. Ich hoffe, dass die Kinderkrankheiten nun vorbei sind. Jedenfalls macht uns das fahren auch in der Winterzeit viel Spass und wir fühlen uns, mindestens in der Nachbarschaft, noch als Pioniere.
das „Pioniergefühl“ finde ich auch wichtig